Auf der Suche nach dem Piratenschatz Rackhams des Roten fahren Tim und Struppi mit Kapitän Haddock an Bord der SIRIUS in die Karibik. Diese Fahrt endete vor fast genau 78 Jahren. Damals war die Welt keineswegs in Ordnung. Aber wie sähe es aus, fände das Abenteuer heute oder im nächsten Jahrhundert statt? Ganz anders, denn zu viel ist in Bewegung geraten.
Die Insel, vor der die EINHORN einst sank, wird womöglich bald nicht mehr zu finden sein, weil vom steigenden Meeresspiegel ausradiert. Wenn alle Gletscher unserer Gebirge, der Eisschild Grönlands und die Antarktis durch die Erderwärmung abschmelzen, ist es kein unrealistisches Szenario, dass Überflutungen und Erosion dem einsam gelegenen Eiland den Garaus machen. Sehr weit ragt es nämlich nicht aus den Fluten. Bekanntlich steht am höchsten Punkt der Insel das Kreuz, das der Ritter Frantz von Hadoque einst aufgestellt hat (siehe das Album »Der Schatz Rackhams des Roten« auf Seite 50, Panel B1). Es befindet sich nur wenig über dem Meeresspiegel.
Okay, im heutigen Album sieht man bei der Annäherung der SIRIUS sogar Berge (24C1). Die sind vermutlich eine Fata Morgana, denn Tim hätte die unmöglich übersehen, als er vom höchsten Punkt spricht! Das Panel in dem Tim und Haddock zu dem Sehnsuchtsziel rüber schauen, gab es in der s/w Urfassung vom Mai 1943 nicht. Der Autor hat die Insel erst später mit Bergen aufgehübscht und dabei offenbar den Dialog vergessen, den er Tim in den Mund legte.
Durch den Untergang der Insel würde uns nicht nur Hadoques Kreuz entgehen, sondern auch die von Eingeborenen angefertigte Figur des Ritters. Der Kapitän hätte immerhin seine Füße geschont. Er wäre nach dem anlanden am Ufer nicht über Bootsreste gestolpert, da der ursprüngliche Strand eben längst unter Wasser läge.
[NDR: Der Klimawandel findet vor allen Dingen im Ozean statt]
Um der Geschichte willen nehmen wir mal an, der Ort, an dem die EINHORN sank, wäre dennoch bekannt. Es gibt weitere Veränderungen. Durch die steigende CO2-Konzentration heizt sich nicht nur die Lufthülle der Erde oder das Land auf, nein, die Meere erwärmen sich im Verhältnis dazu sogar weit mehr.
Die dadurch erhöhte Verdunstung bringt zusätzliche Feuchtigkeit in eine wärmere Atmosphäre, wodurch sich Hurrikane leichter bilden. Vor allem werden sie stärker! Wollen wir hoffen, die Helden bleiben an Bord der SIRIUS davon verschont. Hergé hat auf Tropenstürme verzichtet, weil er auch so genug Abenteuer erfand.
Erkunden wir zusammen mit Tim und Struppi die Unterwasserwelt im Tauchboot. Hier ist doch hoffentlich noch heile Welt?
Womöglich würde dort nicht nur eine einzelne Qualle im Wasser schwimmen (das Exemplar posed auf dem Cover auf 33D3 und 40B1). Es wären wohl ganze Schwärme zu finden. Quallen pflanzen sich stärker fort, je wärmerer das umgebende Wasser ist.
Die Nachbarschaft da unten wird sich stark verändern. Fischarten, denen es zu warm wird, ziehen in kühlere Lebensräume. Gleichzeitig wandern andere Arten zu. Ganze Fischbestände verlagern sich. Es wird sicher Gewinner aber auf alle Fälle eine Menge Verlierer geben.
Zunächst mal tummeln sich dort nun andere Fische, als jene, die wir aus dem Album kennen. Außer Haien schwimmen da am häufigsten, und immer wieder, rote Großmäuler (33C3, 34A3 u. B2, 38C3, 40B1 u.a.), aber auch solche mit Riesenrückenflosse (34B3). Dazu längliche blaue (33D1, 34B2) und blau-rötliche (34A1 u. B1), seltener andere, darunter blau-weiß-orangene (40B1) oder eine Art Mondfisch (45C1). Hätten wir statt dessen grüne und gelbe Arten oder überhaupt keine mehr?
Da sich viel von dem von uns in die Luft geblasenen CO2 im Wasser löst, versauern die Meere, das heißt, ihr pH-Wert sinkt und damit verringert sich die Konzentration von Karbonat-Ionen. Tiere, die aus diesen Molekülen ein Kalkskelett bzw. Kalkschalen bilden, bekommen somit Probleme, u.a. Schnecken oder Muscheln. Außer Korallen sind solche Arten auf Tims Tauchgängen schon jetzt nicht zu sehen.
Korallen kennt man vor allem von den farbenprächtigen Riffen. Tatsächlich sind Korallen keine Pflanzen, sondern Nesseltiere. Sie bieten ihr Kalkgehäuse bestimmten Algenarten an, die für Farbe sorgen. Mit steigenden Wassertemperaturen stößt das Korallengewebe die Algen ab, was zur Korallenbleiche führt. Die Korallen geraten in Stress und die Symbiose mit den Algen kann komplett zusammenbrechen. Steinkorallen (z.B. 33D3 o. 40B2) werden Tim und Struppi und auch wir dann vor der Schatzinsel vermissen.
[Tagesspiegel: Wenn Korallenriffe vom Meeresboden verschwinden]
Die zunehmende Wärme im Ozean ist für viele Algen zunächst mal kein Problem und sie binden dabei sogar noch CO2. Dummerweise ziehen die Algen bei ihrer Blüte aber auch Sauerstoff aus dem Wasser und dasselbe passiert, wenn sie oder andere Wasserpflanzen zerfallen. Viele Meerestiere können dann nicht atmen, sterben oder halten sich ganz fern. Dadurch entstehen »tote Zonen«, die sich in einigen Teilen der Weltmeere ausbreiten.
Nun zum Tang. Der gehört zu den Riesenalgen und die Erwärmung der Ozeane scheint für diese Arten eine gute Nachricht zu sein. Es gibt weltweit unter Wasser ein Dutzend Stellen mit riesigen Tangwäldern.
Würde Tim vor lauter Tang den Meeresgrund nicht mehr sehen können? Wäre es unmöglich, darin das Wrack der EINHORN zu entdecken?
Die Antwort ist: Nein. Seetang hat lieber kaltes Wasser, um zu wachsen. Eher wächst er dort gar nicht mehr!
Somit könnte die Schraube an Tims Tauchboot also nicht im Tang stecken bleiben! Oha! Die gesamte Geschichte verändert sich, oder?
Der Klimawandel, die Erd- und Meererwärmung sind nicht unsere einzigen Probleme. Die Verschmutzung der Meere ist ein anderes. So verheddert sich die Schraube vermutlich in einem der Treibnetze, die da unten sinnlos herumwabern und Meeresbewohner zusätzlich peinigen.
Als Tim die Rauchkapsel auslöst, um Hilfe herbeizurufen, sollte man erwarten, dass ein oder zwei Matrosen der SIRIUS rauspullen und die Boje setzen. Eventuell sitzt noch der Kapitän in der Schaluppe. Dem ist aber nicht so. Wieso der Kapitän allein mit Professor Bienlein fährt, bleibt ein Geheimnis. Es ist nicht unbedingt eine erwartbare Kombination.
Aus Comedy-Sicht ist es jedenfalls ein Volltreffer, den Autor Hergé hier gelandet hat. Ihre Rettungsaktion ist ein Highlight des Albums. Aber, fände sie künftig noch statt? Die Verschmutzung der Meere, der Müll und all das Mikroplastik, werden die Sicht unter Wasser beeinträchtigen. Kapitän und Professor werden von oben zwar das Tauchboot sehen oder erahnen können, aber dass es festhängt, wäre schlimmstenfalls gar nicht mehr zu erkennen. Ob sie rechtzeitig anpacken und Tim und Struppi retten? Womöglich geht denen der Sauerstoff aus und ihre Abenteuer würden hier tragisch enden!
Es ist Zeit zu handeln. Für mehr Durchblick unter Wasser! Zurück zum Cover! Genug Probleme, die gelöst sein wollen. Wir können das! Wegducken gilt nicht. Schritt für Schritt.
Am 26. ist Bundestagswahl – Wähl mit für eine Zukunft, in der Inseln nicht untergehen müssen.
Genug schlechte Nachrichten. Lasst uns dafür sorgen, dass endlich wieder Land in Sicht kommt!